Das Thema Change Management füllt kilometerlange Bücherreihen. Neben Führung wird über kaum ein Thema so viel geschrieben und reflektiert wie über Change. Der Begriff scheint überstrapaziert. Und doch gelingen trotz des geballten Wissens Veränderungsprozesse in Unternehmen meist nicht.
Untersuchungen zufolge, unter anderem der aktuellen Change-Fitness-Studie 2016, führen rund 80 Prozent der Prozesse nicht zum intendierten Ergebnis. Sie versanden, werden eingestellt oder von neuen Veränderungen überrollt.
Es mangelt nicht an Know-how. Es mangelt nicht an Zahlen, Daten, Fakten. Es mangelt nicht an der Einsicht, dass Dinge sich verändern müssen. Und es mangelt definitiv nicht an Instrumenten und Methoden. Woran könnte es also liegen, dass Change Management nicht gleich Change Management ist?
An dem Glauben, wirklich etwas ändern zu können. An der Vorstellung, es müsse möglichst schnell, am besten ruckzuck gehen. An geschönten und damit unrealistischen Vorstellungen der momentanen Situation. Oder an der Wankelmütigkeit der Initiatoren, die schnell das Interesse verlieren oder bei Widerständen leicht umfallen.
Befragt man die Betroffenen selbst zu möglichen Ursachen, beklagen die meisten, dass sie über Anlass und Ziel der Veränderungen zu wenig erfahren. Es fehle ihnen die regelmäßige Kommunikation. An manchen Stellen brauche es noch mehr Unterstützung seitens des Managements und dessen aktive Mitarbeit bei besonders schwierigen Themen sowie etwas mehr Geduld, den Change erfolgreich zu gestalten.
Fakt ist, auf Knopfdruck funktioniert Wandel nicht. Change Management passiert nicht mal eben so, nur weil ein Personenkreis das fordert.
So lautet oft die bange Frage. Ja, man kann. Aber nur dann, wenn man sich bewusst der Ambivalenz stellt, die jedem Change innewohnt. Change Manager sind Anwälte der Ambivalenz. Sie müssen Unsicherheit aushalten können, auch wenn die Sehnsucht nach Orientierung groß ist. Das Ambivalente steckt im System: Veränderung sucht Stabilität, Aktivität die Ruhe, Spannung braucht Entspannung, Aktion die Kontemplation und Ordnung die Freiheit.
Je stärker man die eine Seite betont, desto stärker sucht das System nach Ausgleich. Wenn der Einkauf nur das Positive am Change „verkaufen“ möchte, der HR-Manager nur das Positive am neuen HR-System beleuchtet, gerade dann reagieren die Mitarbeiter besonders kritisch oder skeptisch. Hier ist der Anwalt der Ambivalenz gefordert, er muss alles zur Sprache bringen: was der Nutzen ist, der Preis; was leicht wird, was eher schwierig; was neu wird, wovon wir uns verabschieden werden. Er weiß, je mehr er versucht, Dinge zu erzwingen, umso weniger geschieht. Die entstehende Abwehrreaktion führt zu Widerstand, der sich oft nur dadurch überhaupt regt, dass Druck ausgeübt wird.
Auch wenn der Wunsch noch so groß ist, Change-Projekte eindeutig zu führen, zu kontrollieren oder trivial zu verwalten, so wird er meist nicht wahr. Nach wie vor sind viele der irrigen Auffassung, dass es einfach nur noch bessere Tools braucht, um Change-Projekte besser steuerbar und damit erfolgreicher zu machen. Genau das Gegenteil ist meines Erachtens der Fall.
Es gibt es keine eindeutige „Wahrheit“ oder „Richtigkeit“ wie „Ja, genau so ist es richtig!“, „Nur das stimmt!“, „Ausschließlich so geht es!“. Ganz im Gegenteil: Es gibt psychologisch höchst subjektive Wirklichkeiten zu Aufgaben, (Selbst-)Verantwortung und Prozessen – in jedem Team, in jeder Abteilung, im ganzen Unternehmen. Diese Befindlichkeiten gilt es aufzuspüren und zu berücksichtigen. Nur das Verständnis für diese Eigensinnigkeit und Eigenlogik in Unternehmen führt zu passenden Interventionen und erfolgreichen Ergebnissen.
Der Wandel hängt auch am Wirken des Change Managers. Dieser braucht vor allem:
- Ein hohes Komplexitätsverständnis
- Ein professionelles Führungsrepertoire
- Ein reflektiertes Rollenverständnis
- Selbstbewusstheit
- Ein gutes Standing
- Mut
- Beherztheit
- Ambiguitätstoleranz (die Fähigkeit, mit dynamischen, widersprüchlichen Wahrheiten adäquat umgehen zu können, Widersprüche aushalten zu können)
- Umgang mit Unsicherheit (auch eigener)
- Kompetenz, oft nicht sichtbare Team- und Organisationsdynamiken wahrzunehmen und positiv beeinflussen zu können
Das klingt nach ganz schön viel. Ich weiß. Das klingt nach fast nicht machbar. Auch das stimmt. Und doch gelingt es Organisationen, Veränderungsprozesse erfolgreich zu gestalten. Wieso? Weil sie die Phasen der Instabilität und der (inneren) Widersprüche zugelassen und ausgehalten haben.