Müssten sich Menschen zwischen dem Zustand der Harmonie oder Konfrontation entscheiden, entschieden sich wohl nahezu 100 Prozent für die Harmonie. Menschen haben ein starkes inneres Bedürfnis nach einem harmonischen (konfliktfreien) Verhältnis zu anderen Personen, Abteilungen oder ihren Chefs. Harmonie wird als wohltuend empfunden. „Ich bin ein harmoniedürftiger Mensch“, „Ich streite nicht“, „In unserem Team gibt es keinen Streit“, höre ich oft. Dabei leuchten die Augen, die Gesichtszüge entspannen sich.
Ganz anders fällt die Reaktion beim Thema Konfrontation aus. Die Miene verfinstert sich, der Rücken wird steif, der Blick unruhig. Menschen lehnen Konfrontationen ab. Konflikte erscheinen grausam. „Man kann dabei nur verlieren“, „Da geht etwas kaputt“, „Konflikte sind destruktiv“, Oder: „Das traue ich mich nicht“, „Davor habe ich Angst“, „Ich fürchte mich vor Verletzungen“, „Ich bin Konfrontationen nicht gewachsen“. Auch das höre ich häufig.
Des lieben Friedens willen
Und doch leiden innerlich viele Menschen an unausgesprochenen Konflikten. Sei es in Situationen, in Prozessen und Projekten oder im Team, in Abteilungen und in Zusammenarbeit mit der Führungskraft. Nur nach außen soll nichts dringen. Pseudoharmonie ist das Ergebnis. Die Pseudoharmonie, und scheint sie auch noch so verführerisch, bringt niemanden weiter. Respektvoll streiten ist besser. Streit hat hin und wieder etwas Wunderbares. Man gerät aneinander, weil zumindest zwei Menschen zu sich selber und damit zu ihren Bedürfnissen und Werten stehen. Gegensätze prallen aufeinander. Dauerhafte Harmonie kann es nur geben, wenn mindestens einer sich nicht ernst und wichtig nimmt, und um des lieben Friedens willen prophylaktisch nachgibt. Stattdessen brodelt es dann im Untergrund – und das raubt Energie.
Stagnation verhindern
Auch wenn es vielen so scheint, Konfrontationen sind mitnichten nur negativ. Man braucht sie, um neue Entwicklungen einzuleiten oder um zumindest Stagnation zu verhindern. In Konfrontationen treten Personen direkt in Kontakt miteinander und setzen sich auseinander. Nach erfolgreich durchgearbeiteten Konfliktprozessen lässt sich an den entspannten und erleichterten Gesichtern der Beteiligten ablesen, wie lohnend und teamstärkend die kompetente Arbeit an und mit Konfrontationen sein können. Nur, so der Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun, muss man sich von dem Ehrgeiz verabschieden, alles jederzeit cool im Griff zu haben. Allzeit in Konfrontationen souverän aufzutreten ist zu viel verlangt. Es ist menschlich, dass man sich angegriffen fühlt und die eigene soziale Intelligenz vorübergehend rapide absinkt.
Konfrontierend verstehen
Es braucht den Mut zur Konfrontation sowie die Courage, auch Zorn und Ablehnung darzustellen und entsprechende Disharmonien auszuhalten. Es lohnt sich, die Themen, die strittig sind, ganz bewusst auf die Tagesordnung zu setzen. Am besten schon dann, wenn man erst vage vermutet, dass etwas brodelt. Und vor allem dann, wenn man selbst betroffen oder Teil des Konflikts ist. Je früher man es anspricht und die anderen damit konfrontiert, desto besser ist es für das Binnenklima im (Projekt-)Team. Oder andersherum: Je länger man wartet, desto verhärteter oder verkrusteter sind die Parteien und Standpunkte. Das setzt voraus, das Chefs ein Teamklima schaffen und vorleben, in dem Mitarbeiter sich trauen, ihren inneren Standpunkt zur Sprache zu bringen und gehört werden. Und das selbst dann, wenn sie annehmen müssen, dass sie sich damit nicht nur Freunde machen. Jeder im Team braucht die innere Haltung: Jetzt interessiere ich mich für deinen Standpunkt, selbst wenn ich ihn eigentlich total ablehne. Verstehen ist nicht gleichzusetzen mit einverstanden zu sein. Verstehen schließt nicht aus, dass der andere später nicht vehement dagegenhält. Aber zunächst geht es darum, die Perspektive des anderen zu erfassen und nachzuvollziehen. In der Summe sind das Bemühen um Verständnis und der Mut zur Konfrontation der Kern einer konstruktiven Streitkultur.